Familie Jammeh und alle Mitarbeiter von Help the poor and the needy e. V. wünschen allen Muslimen einen gesegneten Ramadan.

Emotionaler hätte es nicht sein können. Die Erlebnisse der letzten Tage lasten schwer auf mir. Ich spüre noch immer die Erschöpfung in meinen Gliedern, die Unruhe in meinen Gedanken. Wir hatten uns so viel vorgenommen, Gutes zu tun, den Bewohnern Bakaus eine Freude zu machen. Wir wollten aus den Erfahrungen der letzten Jahre lernen, uns dieses Mal noch zu verbessern. Aber manchmal hält das Leben eine andere Lektion bereit – eine, die nichts mit Planung oder Perfektion zu tun hat. Denn egal, wie gut man vorbereitet ist, wie detailliert die Abläufe durchdacht wurden – alles steht und fällt mit den Menschen, auf die man sich verlässt. Und wenn Absprachen nicht eingehalten werden, wird selbst die beste Organisation bedeutungslos.

Die Vorbereitungen

Am Freitag machte sich mein Mitarbeiter auf den Weg in die Hauptstadt. Er hatte eine scheinbar simple, aber essenzielle Aufgabe: die aktuellen Preise der Produkte zu erfragen, die wir für die Kalkulation unserer Pakete benötigten. Doch in Gambia heißt so etwas nicht einfach, in einen Laden zu gehen und Etiketten zu vergleichen. Es bedeutet Verhandlungen, lange Gespräche, manchmal Wartezeiten, die eine halbe Ewigkeit dauern, und sich darauf einzulassen, dass Pläne selten genau so aufgehen, wie man es sich vorstellt.

Wir hatten auch einen Taxifahrer engagiert, der uns und unserem Team drei Tage lang zur Verfügung stehen sollte. Eine sichere und zuverlässige Lösung – dachten wir. Am Morgen fuhr er uns mit einem geliehenen Auto zum Einkaufen, weil sein eigenes in der Werkstatt war. Am Abend brachte er uns mit seinem reparierten Wagen nach Hause. Doch das, was danach geschah, konnte keiner von uns vorhersehen: einen Unfall. Nichts Lebensbedrohliches, aber schwer genug, dass sein Auto nicht mehr fahrbereit war. In einem Moment hatten wir eine Transportlösung – im nächsten standen wir wieder bei null.

541 Anrufe mussten getätigt werden

Doch die Arbeit musste weitergehen. Eine der wichtigsten Aufgaben in der Vorbereitung war es, jede einzelne Familie zu benachrichtigen. 541 Anrufe. Vier Mitarbeiter, unzählige Wiederholungen derselben Nachricht: „Ihr könnt am Mittwoch euer Paket abholen, vergiss deine ID-Karte nicht.”
Ein Satz, der für uns eine organisatorische Notwendigkeit war – aber für jede einzelne Familie am anderen Ende der Leitung bedeutete er etwas anderes. Hoffnung. Erleichterung. Vielleicht auch eine Sorge weniger für die kommenden Wochen.

Jede große Aktion beginnt mit Zahlen, Listen, Kalkulationen. Aber hinter diesen Zahlen stehen Menschen. Menschen, die warten. Menschen, die sich darauf verlassen, dass wir unsere Versprechen halten. Und während ich zurückblicke, wird mir klar: Die größte Herausforderung ist nie die Planung. Es sind die Unwägbarkeiten, die einen immer wieder auf die Probe stellen. Und die Frage, wie oft man bereit ist, von vorn anzufangen.

Das Einkaufen

Obwohl wir am Freitag alles detailliert besprochen hatten, wurde uns am Montag bewusst, wie trügerisch jede Planung sein kann. Die Preise hatten sich geändert. Die Verfügbarkeit der Waren auch. Es war, als hätte das Wochenende ausgereicht, um unsere gesamte Kalkulation ins Wanken zu bringen. Ein Gefühl der Frustration machte sich breit – nicht wegen der Arbeit an sich, sondern weil es bedeutete, dass wir wieder von Shop zu Shop ziehen mussten, feilschen, warten, diskutieren.

Entspanntes Einkaufen? Undenkbar. Jeder Einkauf war ein Kraftakt, ein Spiel aus Geduld und Überzeugung. Die Hitze, die Enge der kleinen Läden, das Stimmengewirr – all das war Teil eines Systems, das sich niemals an schriftliche Absprachen hielt. Und es funktionierte nur eben nicht zu unseren Bedingungen.

Alles war bestellt – bis auf das Öl und den Tee. Bei diesen beiden Produkten stießen wir an eine unsichtbare Wand. Jeder Händler gab uns dieselbe Antwort: „Zurzeit nicht verfügbar. Erst im Ramadan wieder.“ Wir wussten, was das bedeutete. Dann würde es die Ware geben, aber zu einem deutlich höheren Preis. Ein unausgesprochenes Gesetz, eine Absprache zwischen den Händlern, die sich nicht brechen ließ. Ein Moment, in dem uns wieder klar wurde, dass nicht nur Armut, sondern auch Marktmechanismen bestimmen, wer sich was leisten kann – und wann.

Trotz aller Hürden kam zumindest der Kaffee und das Tomatenmark pünktlich an. Die Datteln ließen auf sich warten. Als sie endlich eintrafen, war die Sonne längst untergegangen. Wir waren erschöpft, hungrig, müde vom Warten – aber erleichtert. Denn egal, wie viele Umwege wir gehen mussten, am Ende würde es sich lohnen.

Am Folgetag versuchte mein Mitarbeiter noch einmal bei verschiedenen Läden das Öl und den Tee zu bestellen, und er wurde fündig. Gott sei’s gedankt. Die Enttäuschung wäre zu groß gewesen, wenn die Empfängerinnen auf das teure Öl hätten verzichten müssen.

Das Packen

Es begann der Tag des Packens. Alles war vorbereitet, die Listen gedruckt, die Helfer informiert. Doch wie so oft hielt sich die Realität nicht an unsere Pläne.

Der Truckfahrer hätte längst kommen sollen, doch als ich wieder und wieder auf die Straße trat und in die Ferne blickte, war da nur Hitze und die ersten wartenden Menschen. Zwei Stunden verspätet – weil er zuerst zum falschen Lager gefahren war. Zwei Stunden, in denen wir nichts tun konnten, außer warten und der Zeit zusehen, wie sie uns durch die Finger rann.

Als der Truck schließlich am frühen Nachmittag vorfuhr, war die Erleichterung greifbar. Zucker, Mayonnaise, Öl und Tee – wichtige Elemente unserer Pakete. Doch bevor wir richtig loslegen konnten, stand plötzlich das ganze Grundstück voller Menschen. Unsere sorgsam vorbereitete Liste mit 20 Helfern? Überflüssig. Denn Kinder, Freundinnen, Cousinen, Tanten – sie alle hatten die Tür für ihre Angehörigen geöffnet, und nun waren es nicht 20, sondern eine unüberschaubare Anzahl an Helferinnen, die uns erwartungsvoll ansahen.

Wir versuchten, die Menge einzugrenzen, baten einige hinaus, brachten wieder Ordnung ins Chaos. Dann begann die eigentliche Arbeit. Jedes Produkt wurde nach Gewicht sortiert, in einer Reihe aufgestellt – ein System, das sich bewährt hatte. Eine Person hielt die geöffneten Plastiktüten bereit, während die Träger von Station zu Station gingen und die Lebensmittel einpackten. Die starken Jungen unter den Helfern schulterten die schweren Tüten und brachten sie ins Haus. Zehn Kilogramm pro Paket, und am Ende türmten sie sich in drei Räumen bis unter die Decke.

Plötzlich wurden es immer mehr Helfer

Später hielten wir kurz inne und zählten die Helfer. 32. Eine Zahl, die plötzlich Bedeutung bekam, denn wir wollten allen ein Frühstück zubereiten. Wir kauften 32 Baguettes, eine Helferin belegte sie mit Sardinen, Eiern und Zwiebeln. Doch du ahnst es vielleicht schon – es reichte wieder nicht.

Immer wieder dasselbe Bild: Menschen, die bleiben wollten, in der Hoffnung, doch noch ein Paket zu ergattern. Die Hoffnung, eine der stärksten Triebfedern des Menschen – und zugleich eine, die oft an Grenzen stößt. Der Wunsch, Teil der Verteilung zu sein, war so groß, dass sie alles versuchten, um dabei zu bleiben. Und wir wussten: Der nächste Tag würde es noch intensiver zeigen.

Als das letzte Paket verstaut war, traten wir die Heimfahrt an. Erschöpft. Nachdenklich. Und wissend, dass unsere Arbeit längst nicht vorbei war.

Die Ausgabe

Der dritte Tag der Ramadanaktion wird für immer in meine persönliche Geschichte eingehen. Ein Tag, an dem ich so viele Gefühle durchlebte – von Erleichterung bis Frustration, von Staunen bis Erschöpfung. Bis hierhin hatten wir bereits viel gelernt. Doch das Leben ist ein Lehrer, der niemals zu früh aufhört, zu unterrichten.

Ein Taxi holte uns ab. Der Plan war simpel: kurz zur Bank, Getränke kaufen, weiter zum Verteilungsort. Eigentlich kein Grund zur Sorge – aber in Gambia ist nichts so einfach, wie es scheint.

Schon auf der Schnellstraße fiel mir auf, dass unser Fahrer kaum mit dem Verkehr mithalten konnte. Wir krochen dahin, während andere an uns vorbeizogen. Der Motor brummte angestrengt, als würde er um jeden Meter kämpfen. Ich riskierte einen Blick auf den Tacho, doch der war nur eine leere, leblose Anzeige. Sinnlos, Antworten von ihm zu erwarten.

Vor der Bank hielt der Fahrer an – aber ließ den Motor laufen. Ich fragte mich, warum. Bald würde ich es erfahren.

Taxifahrer – eine ganz besondere Sorte Mensch

Als wir später vor dem Laden hielten, machte er den Motor aus. Ob freiwillig oder aus Zwang, konnte ich nicht sagen. Aber es war ein Fehler. Ich beobachtete, wie er versuchte, das Auto wieder zum Leben zu erwecken – nicht mit einem Schlüssel, sondern mit zwei losen Kabeln unter dem Lenkrad. Ein vergeblicher Versuch. Dann öffnete er den Kofferraum, nahm einen Schraubenschlüssel und begann, auf etwas einzuschlagen. „Jetzt versuchen!“, rief er uns zu. Doch das Auto blieb stumm. Sein Kampf gegen die Technik war verloren.

Es blieb uns nichts anderes übrig, als mit all unseren Kartons voller Getränke das Taxi zu wechseln. Doch die nächste Hürde ließ nicht lange auf sich warten: Der neue Fahrer, der uns gerade einmal 500 Meter weiterbringen sollte, forderte plötzlich mehr Geld als für die fünf Kilometer zuvor. Ein Moment, in dem ich mich nur noch fragte: Was passiert hier gerade?

Ich hatte keine Kraft für Diskussionen. Stillschweigend saß ich da, während sich eine hitzige Debatte zwischen den anderen entwickelte. Es ging um mehr als Geld. Es ging um Prinzipien, um die Wertigkeit von Arbeit, um unausgesprochene Regeln des Alltags. Am Ende bekam er einen angemessenen Preis.

Sie warteten schon seit Sonnenaufgang

Beim Aussteigen sah ich sie bereits: Hunderte Menschen. Sie warteten. Schweigend, geduldig, einige seit Stunden. Ich hatte mit der Menge gerechnet – und doch war der Anblick jedes Mal überwältigend.

Einige von ihnen standen dort seit weit vor Sonnenaufgang. Ich ließ den Blick über ihre Gesichter gleiten. Wie groß muss die Not sein, wenn man bereit ist, sich in der Dunkelheit vor eine Tür zu stellen – nur für die Hoffnung, Stunden später ein Lebensmittelpaket zu erhalten? Hoffnung. Sie ist das Einzige, was viele hier noch haben. Und genau das ist es, was mich jedes Jahr wieder antreibt.
Wir hatten alles so gut vorbereitet. Wochen der Planung, unzählige Gespräche, präzise Absprachen. Jedes Detail durchdacht. Jeder mit einer Karte sollte zuerst eingelassen werden – geordnet, fair, systematisch. Danach die anderen Bewohner Bakaus. Ein Plan, der in der Theorie perfekt war.

Damit hatte keiner gerechnet

Doch in der Praxis reicht ein einziger unbedachter Schritt, um ein Kartenhaus einstürzen zu lassen. Ein Mann ohne jeglichen Auftrag, ohne eine Absprache nahm es auf sich, alle Karten der Mitglieder einzusammeln und uns zu bringen. Was vielleicht als gut gemeinte Hilfe gedacht war, verwandelte sich in einen unüberschaubaren Sturm aus Verwirrung und Chaos. Worte reichen nicht aus, um das Durcheinander zu beschreiben.

Drinnen war alles vorbereitet. Die Säcke standen bereit, das System war klar, und die Helfer warteten auf ihren Einsatz. Doch draußen? Dort tobte eine Menge voller Hoffnung, Verzweiflung und Ungeduld. Wir warteten auf die Polizei. Einige Schutzpolizisten waren bereits da, doch die Spezialeinheit fehlte noch. Sechs Männer der Anti-Crime-Einheit sollten uns und unser Tor schützen.

Als sie endlich eintrafen, musste ich kurz schmunzeln. Gut aussehende, kräftige Männer mit einer Aura von Autorität und Härte. Sie strahlten eine Sicherheit aus, in die ich meine ganze Hoffnung legte. Doch als sie ihre Positionen einnahmen, wurde mir bewusst: Sie kämpften gegen eine Welle, die sich nicht so einfach aufhalten ließ.

Das Problem war nun offensichtlich. Niemand hatte mehr eine Karte bei sich. Niemand konnte beweisen, dass er oder sie berechtigt war, ein Paket zu erhalten. Die Grenze zwischen Mitgliedern und Nichtmitgliedern war in einem einzigen Moment verwischt worden.

Das Problem mit den Karten

Die Männer taten ihr Bestes. Sie hielten jeweils zehn Karten in der Hand, riefen Namen auf. Doch Gambia ist ein kleines Land mit wenigen großen Familien und nur wenigen verschiedenen Vornamen, die beinahe alle aus der Prophetenfamilie kamen. Fast jeder zweite Name führte zu fünf Menschen, die nach vorn drängten.

Glücklicherweise hatten die Karten Fotos. Ein mühsamer Abgleich begann. Doch was für ein simpler Prozess hätte sein sollen, zog sich in die Länge. Jede Minute fühlte sich an wie eine Ewigkeit. Trotz allem gelang es uns schließlich, Frauen in Zehnergruppen auf das Grundstück zu lassen. Doch zu welchem Preis?

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Kopftücher wurden im Gedränge heruntergerissen. Flip-Flops gingen zu Bruch, als verzweifelte Füße sich einen Weg bahnten. Andere hatten keine Schuhe mehr und Wunden an den Füßen. Eine Frau erlitt eine Asthma-Attacke, eine andere kippte vor Erschöpfung fast um – dehydriert in der Mittagshitze. Ich fand mich plötzlich in einer Rolle wieder, auf die ich nicht vorbereitet war.

Ich war gekommen, um Lebensmittel zu verteilen. Doch an diesem Tag wurde ich auch zur Krankenschwester. Wir verteilten Wasser, Asthmasprays, Geld für neue Schuhe. Denn wie gibt man einem Menschen ein schweres Essenspaket, wenn er kaum noch stehen kann?

Doch der Druck von außen wuchs weiter. Selbst die Schwarzuniformierten kamen gegen die Masse nicht an. Also tat einer von ihnen das Einzige, was noch möglich war: Er kletterte auf die Mauer, überblickte die Menge und rief von dort die Namen aus. Und endlich – es funktionierte eine Weile.

In all dem Chaos überkam mich eine Erkenntnis: Gambia und Deutschland – zwei Welten, zwei Extreme. Hier gibt es unendlich viel Menschlichkeit, aber nur wenig Disziplin. Dort gibt es unendlich viel Disziplin, aber oft zu wenig Menschlichkeit.

Und doch weiß ich als Muslim, dass beides zusammengehört. Unsere Religion lehrt uns Mitgefühl – aber auch Ordnung. Es kann kein Entweder-oder geben.

Und doch wusste ich: Wir mussten weitermachen.

Das Essen als Kraftspender zum Weitermachen

Gegen frühen Nachmittag war das Essen fertig – eine warme Mahlzeit für diejenigen, die den ganzen Vormittag gearbeitet hatten. Der Duft von Gewürzen lag in der Luft, vermischte sich mit dem Rauch der offenen Feuerstellen und dem Rufen der Frauen, die noch die letzten Handgriffe erledigten. Es gab Reis mit Hühnchen – einfach nahrhaft, ein Essen, das Kraft spendet.

Sechs Frauen hatten seit dem Morgengrauen gekocht. Ihre Hände hatten Kilo um Kilo Zwiebeln geschält, geschnippelt und in großen, schwarzen Töpfen angedünstet. Ich hatte noch nie so viele Zwiebeln auf einmal gesehen – ein gläserner Berg, der unter den geschickten Bewegungen der Frauen immer kleiner wurde. Jedes Mal, wenn ich sie sah oder an ihnen vorbeiging, lachten und scherzten sie. Ein schöner Anblick.

Schmackhaft und etwas schaft

Als das Essen serviert wurde, sammelten sich die Helfer im Schatten eines Baumes und unter dem angemieteten Zeltdach. Hände wurden am Wasserhahn gewaschen, große Gemeinschaftsteller für die verschiedenen Polizeidepartements gefüllt, für alle anderen gab es Aluminiumschalen und für einen Moment legte sich Ruhe über das Grundstück. Das Essen war schmackhaft, reich an Gewürzen mit der typischen Schärfe, an die ich mich längst gewöhnt hatte, aber bisher nicht mein Eigen nennen wollte. Doch es war mehr als nur eine Mahlzeit – es war eine Geste der Fürsorge, eine Form des Dankes, ein Symbol für Gemeinschaft.

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Frisch gestärkt ging es weiter. Die Arbeit rief, die Menschen brauchen uns. Aber für diesen einen Moment, als wir zusammen saßen und aßen, spürte ich, was echte Verbundenheit bedeutet.

Wir waren nicht alleine

Glücklicherweise war unser Imam noch vor Ort, als wir die Schreie einer Frau hörten. Sie fiel hin, zuckte ruckartig. So etwas hatte ich noch nie erlebt. Vier Polizisten hielten sie an Armen und Beinen fest, und der Imam drückte ihre Schultern zu Boden, las eine Sure aus dem Quran und zwang sie „Bismillahi Rahmani Rahim“ zu sagen. Sie schüttelte mit weit aufgerissenen Augen und starrem Gesicht wiederholt den Kopf. Der Imam schrie weiter immer und immer wieder „Say: Bismillah“ und rezitierte weiter Verse. Mir wurde angst und bange. Ich sagte auf Arabisch „Im Namen Allahs, ich suche Zuflucht bei Allah vor dem verfluchten Shaytan.” Viele Wartenden saßen um sie herum, sahen zu, aber wirkten nicht wirklich beunruhigt. Nach ein paar Minuten zuckte die junge Frau einmal ganz heftig und dann Stille – es war geschafft. Der Djinn hatte ihren Körper wieder verlassen. Sie war völlig erschöpft.

Was hatte ich da gerade gesehen? War es wirklich Besessenheit? Ihr Gesichtsausdruck und die rückhaften Bewegungen ließen es möglich erscheinen. Für mich war es das erste Mal, doch meine Kinder erzählten, dass es in der Schule häufiger vorkam. Etwa eine Stunde später passierte das Gleiche noch mit einer anderen Frau, dann übernahmen die Polizisten das Geschehen, da der Imam schon gegangen war. Da stellt sich die Frage, warum gerade bei den Muslimen, die gläubig sind. Wohl, weil sie bereits an Allah glauben und davon abgebracht werden sollen. Alle anderen hat er schon vom Glauben abgehalten.

Die Dankbarkeit übertraf alles

Und dann gab es noch diese anderen Momente. Momente, die sich für immer in mein Herz brannten. Momente voller Dankbarkeit.

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So viele Frauen, so viele Bittgebete, so viele Hände, die sich in den Himmel erhoben, um Allah ﷻ um Segen für die Spender zu bitten. Es war, als könnte man die Dankbarkeit in der Luft greifen – schwer, intensiv, echt. Besonders die jungen Mädchen rührten mich. Mit leuchtenden Augen, vorsichtigen Schritten – und dann dieser Knicks. Tief vor mir. Eine Geste der Ehrerbietung, die mich überforderte. Es fühlte sich falsch an. Ich wollte nicht, dass sie mir Respekt erweisen. Ich wollte, dass sie ihn für sich selbst empfanden – für ihre Würde, für ihren Mut, für ihr bloßes Durchhalten in einem Leben, das oft so hart war.

Mein Mann lehnte sich zu mir, sein Flüstern hörbar in all dem Trubel:
„Weißt du eigentlich, wie selten es ist, dass ein Europäer so tief in die gambische Gesellschaft eintaucht? Ihre Höhen und Tiefen nicht nur beobachtet, sondern miterlebt?“
Ja, das wusste ich. Aber Wissen ist nicht dasselbe wie Fühlen. Und an diesem Tag fühlte ich es mit jeder Faser meines Seins.

Die Gemeinschaft tut gut

Auf dem Grundstück hielten sich noch viele Frauen auf. Sie wollten gar nicht mehr gehen. Die Wärme, die Gemeinschaft, das Gefühl, für einen Moment mehr zu sein als nur Bedürftige – sie hielten daran fest, solange es ging. Doch draußen tobte das Chaos weiter. Die Polizei rief Verstärkung. Mehr Uniformen, mehr Stimmen, mehr Mühe – doch der Strom der Menschen war stärker als jede Autorität.

Eine Polizistin fiel mir besonders auf. Nicht wegen ihres Auftretens, sondern wegen des kleinen Bündels, das sie mit sich trug. Ein Baby in einer Tragetasche an ihre Brust gedrückt.
„Wie jagst du mit einem Baby Verbrecher?“, fragte ich sie ungläubig. Ihr Lächeln war die einzige Antwort, die ich bekam.

Es ist vorbei

Dann trat einer der Anti-Crime-Männer zu uns. Ich sah es ihm an, bevor er ein Wort sagte. Es war vorbei.
„Ihr müsst abbrechen.“
Ich atmete tief durch. Hatte ich es nicht geahnt? Doch zwischen Ahnen und Akzeptieren liegen Welten. Hundert Mitglieder ohne Paket. Und plötzlich liefen in meinem Kopf Szenarien ab wie ein Film, den ich nicht stoppen konnte.
– Morgen weitermachen – ohne Polizei? Unmöglich.
– Die Pakete ins Büro bringen? Entschieden zu viele.
– Verteilen lassen? Wer würde sie dann wirklich bekommen?

Und dann sagte mein Mann diesen einen Satz, der alles veränderte:
„Dann bringen wir die restlichen Pakete in Nachtaktionen zu den Bedürftigen nach Hause.“
Ein einfacher Satz. Eine Lösung, die nur für den Moment eine war. Ein neuer Kraftakt in dem Wissen, dass es nie genug sein würde.

In der nächsten und übernächsten Nacht erreichten weitere Pakete endlich ihren Bestimmungsort. Doch selbst dann standen immer noch Menschen vor unserem Tor wartend, hoffend, betend. Denn das war die Wahrheit: Hunger schläft nicht. Hoffnung auch nicht. Wir machen weiter, komme was wolle.

Was hat mich diese Aktion gelehrt?
Dass Pläne schön sind – aber letztlich nur so viel wert wie die Menschen, die daran beteiligt sind. Jetzt benötigen wir Ruhe. Montag geht es weiter. Mit neuer Kraft. Mit demselben Herzen.
Möge Allah ﷻ es annehmen.